Interview
«Zug ist ein Seismograph der internationalen Wirtschaft»
Nur noch wenige Tage bis zur Ergänzungswahl des Zuger Regierungsrats. Wer von den Kandidaten und Kandidatinnen hat die besten Rezepte für die Wohnkrise, wer will das «Zuger Modell» beibehalten? In einem Rundgespräch traten Gemeinsamkeiten aber auch Differenzen heraus.
Vor der Schule stellen sie sich zum Porträt auf. Die sechs Kandidaten und Kandidatinnen haben sich im Wahlkampf gut kennengelernt und pflegen eine eigene Whatsapp- Gruppe. Nur Tabea Estermann hat es nicht geschafft. Die GLPKandidatin befindet sich gerade in Bolivien auf der Farm ihres Bruders.
Die Fünfergruppe steht auf der Wiese und lächelt in die Kamera. Anweisungen brauchen die Kandierenden nicht mehr, das Posieren kennen sie. Oben auf der Redaktion werden den Kandidierenden kurz die Regeln erklärt. Sie haben eine Minute Zeit, sich vorzustellen. Danach startet die Diskussion. Mitte- Kandidat Andreas Hausheer hat viele Papiere mitgenommen: «Was ist die Idee?» Nach einer kurzen Erklärung beginnt er: «Ich kandidiere seit über 20 Jahren auf kantonaler und kommunaler Ebene und habe einen anerkannten Leistungsausweis.» Den habe er sich auch in der Privatwirtschaft errungen. Zug ist für ihn Heimat. Da ist er aufgewachsen, konnte Freundschaften knüpfen und hat hier eine Familie gegründet. «Jetzt will ich dem Kanton etwas zurückgeben. » Nämlich als Nachfolger von Martin Pfister, der jetzt Bundesrat ist.
Den kürzesten Weg zur Redaktion hatte Andreas Lustenberger von der ALG. Er wohnt in Baar nur einen Katzensprung entfernt. Ist hier auch zur Schule gegangen. Auch er erwähnt, wo er überall seinen Sporen abverdient hat: 15 Jahre in der Zuger Politik, davon 12 Jahre im Kantonsrat, tätig in verschiedenen Kommissionen. Er arbeitet in der Geschäftsleitung der Caritas Schweiz. Er findet, wie natürlich alle anderen Kandidierenden, die Qualifikation als Regierungsrat zu erfüllen. Eigentlich ist die erste Minute der Vorstellung gewidmet. Lustenberger kann es sich aber nicht verkneifen, gleich schon die erste Salve gegen den Regierungsrat zu schiessen. Die soziale Seite sei dort nicht vertreten. Mit seiner Wahl wäre sie wieder komplett. Die bürgerlichen Politiker Brüngger und Hausheer haben das schon häufig von ihm gehört und werden in der Diskussion darauf zurückkommen. Jahrelange politische Erfahrung im Kantonsrat kann Stefan Thöni nicht vorweisen. Seine erste politische Heimat war die Piratenpartei. Dort hat er es bis zum Vorsitzenden Richter am Bundesschiedsgericht der Piratenpartei Deutschland geschafft. Für die Ergänzungswahl tritt er für die Parat-Partei an. In gewissem Masse ist Thöni der erfahrenste Wahlkämpfer der kleinen Runde. Es ist schon sein 13. Antritt für ein politisches Amt.
Er arbeitet in Zug für ein technologisches Unternehmen. «Mein Lieblingsthema ist Transparenz.» Da sei der Kanton schon ganz gut unterwegs, er könne aber noch mehr dazulegen, in Sachen Transparenz. «Ich bin seit über 20 Jahren politisch tätig», so Carina Brüngger. 12 Jahre im Gemeinderat Steinhausen, seit 2023 im Kantonsrat. «Ich bin begeisterte Pfadfinderin.» Sie hat eine Berufslehre gemacht. Und wegen ihrer Tätigkeit bei der Spitex habe sie in alle Schichten des Lebens Einblick erhalten. Der Letzte ist der parteilose Andy Villiger, der immer zu Spässen bereit ist. Auch er erhält eine Minute Zeit für die Vorstellung. «Gesundheit ist das Wichtigste, das wir besitzen. Ich bin fertig.» Ungläubiges Staunen, doch Villiger lacht. Dann erzählt er kurz seine Biographie. Er wuchs in einem Bauernhof auf und studierte Informatik, «zum Leidwesen meines Vaters.» Heute ist er Bäcker und selbst ernannter Gesundheitsberater. Warum also nicht Gesundheitsdirektor? «Mein grosses Lebensthema ist Prävention.» Darum soll man umso mehr Effort in die eigene Gesundheit legen. «100 Milliarden Franken Gesundheitskosten haben wir in der Schweiz.» Die Gesundheitspolitiker wirken aber machtlos, so Villiger. Sie würden von der Pharmaindustrie dominiert. Nur zwei Hebel gäbe es, dieser Entwicklung Einhalt zu geben, sei die Prävention und «blaue Zonen». Zum Beispiel natürliches Laufen und wie man ein Glas Wein richtig trinkt. Von den Japanern könne man übrigens lernen, wie man auch richtig isst: «Die hören bei 80 Prozent Sättigung auf, zu essen.» Wie er natürliches Laufen, korrektes Weintrinken und frühzeitiges Beenden von Mahlzeiten als Gesundheitsdirektor durchsetzen will, verriet Villiger aber nicht.
Zum Thema Weintrinken äusserte sich Brüngger von der FDP nicht. Das Thema Prävention beschäftigt aber auch sie. Der Kanton Zug zähle zu den wenigen Kantonen in der Schweiz, die kein Brustkrebs- Screening kennen. Die Krankenkassenprämien seien hoch, das stimme. Aber die Eigenverantwortung werde viel zu wenig vorangetrieben. «Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern sagen: Wir haben ein sehr hohes Standing und müssen auch etwas Eigenverantwortung übernehmen.» Auch die Kostenkontrolle im Spitalwesen bemängelt sie. Warum reiche ein Röntgenbild aus Zug nicht, wenn man nach Zürich transferiert wird und das Spital dort nochmals ein eigenes Bild erstelle? Auch mit dem «Zuger Modell» hadert sie. Also die temporäre Beteiligung der Regierung für die stationären Gesundheitskosten. Thöni beklagt das Geschäftsmodell der Hausärzte. «Diese werden vor allem für Behandlungen und Laborberichte bezahlt. Sie werden aber nicht dafür bezahlt, die Leute gesund und glücklich zu halten. Da müssen man ansetzen. Man soll die Ärzte nach der Zufriedenheit der Patienten bezahlen. Hausärzte sollen sie nur dann zum Spezialisten schicken, wenn es absolut notwendig ist, und nicht, weil die Praxen überlastet sind.
Eine Frage an den übergewichtigen Stefan Thöni: «Betrachten Sie sich als genügend fit für das Amt des Gesundheitsdirektors? » Thöni lacht kurz auf. Dann sagt er. «Der Direktor muss nicht der Fitteste sein. Das ist nicht das Problem.» Der athletisch wirkende Villiger pflichtet ihm bei: «Der Kopf ist das Wichtigste.» Prävention ist in dieser Runde das Lieblingswort. Auch für Lustenberger ist sie enorm wichtig. Er hat wie häufig immer eine Zahl parat: Nur zwei Prozent der Gesundheitskosten fliessen in die Prävention. Der ALG-Kandidat: «Das ist viel zu wenig. » Aber nicht nur die körperliche Gesundheit sei in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Auch die mentale Gesundheit müsse gefördert werden. Schon junge Leute würde aus dem Wirtschaftsleben deswegen ausfallen. Man müsse unbedingt darauf achten, dass die Jungen wegen Zunahme von Social Media nicht in diesen Strudel geraten. Er kenne von der Arbeit viele Menschen, die sich die Krankenkassenprämien nicht mehr leisten können, so Lustenberger. Und solche Menschen seien nicht in der Zuger Regierung vertreten. Dabei richtete er kritische Worte an Brüngger: «Und solchen Leuten werde gesagt, ihr müsst über Eigenverantwortung nachdenken.»
Bei Andreas Hausheer kommen solche Worte gar nicht gut an: «Ich wehre mich gegen den impliziten Vorwurf, ich sei nicht solidarisch oder sozial! Das weise ich von mir.» das Gesundheitssystem im Kanton Zug funktioniere gut bis sehr gut. Man habe eine gute Infrastruktur. Und die Leute im Gesundheitssystem haben auch einmal einen Dank verdient. Natürlich sei nicht alles perfekt. So sollten die administrativen Hürden zum Beispiel im Kantonsspital zu senken. Auch er ist ein Befürworter der Prävention. «Allen hier ist klar, dass wir besser von vorne beginnen, bevor es zu einer grossen Angelegenheit im Spital wird.» Auch zum «Zuger Modell» hat er eine klare Meinung; «Momentan hat der Kanton das Geld. Momentan kann sie das finanzieren. Aber es kann sein, dass man das irgendwann zurückfahren muss.» Carina Brüngger musste sich etwas zurückhalten, aber jetzt bricht es doch aus ihr heraus. «Die Unterstellung », dabei hatte sie Lustenberger im Sinn, «wir Bürgerlichen würden nur zu den Reichen schauen, diese Unterstellung habe ich langsam genug gehört.»
Die Gesundheit, die Gesundheitskosten und das Wohlbefinden sind nicht die einzigen grossen Themen, die die Bevölkerung umtreibt. Um überhaupt Einwohner von Zug zu sein, muss man hier eine Wohnung haben. Und das wird immer schwieriger. Der Wohnraum wird knapp, die Mieten oder Preise steigen in die Höhe. Wie nahe dran sind die Kandidatinnen und Kandidaten an diesem Thema? Andreas Hausheer will das Angebot an Wohnungen erhöhen. «Es ist aber nicht die Aufgabe des Staates, Wohnungen zu erstellen.» Die Planungssicherheit, die sei aber wichtig für die Planerinnen und Planer, und dafür könne der Staat die Rahmenbedingungen bereit stellen. Dazu zähle unter anderem die Vereinfachung von Bewilligungsverfahren. Auch die Wohnbaugenossenschaften solle man gezielt unterstützen. Die einheimische Bevölkerung habe Vorzug bei Wohnungen, so die Forderung von Hausheer. Das müsse aber noch rechtlich und gesellschaftspolitisch abklären. Die Wohnkrise sei das bestimmende Thema in der Bevölkerung, so Lustenberger. «Wir haben hunderte, wenn nicht sogar tausende Leute, die den Kanton wegen unbezahlbaren Wohnungen verlassen müssen. » Diese Aussage stiess auf Widerstand bei Brüngger und Hausheer. Ziehen diese Leute tatsächlich wegen der Wohnungsknappheit aus Zug, oder auch aus anderen Gründen? Einig wurde man sich in der Runde nicht.
Lustenberger wurde etwas laut: «Wo sollen die Handwerker in Zug überhaupt wohnen können?» Es brauche mehr Platz für bezahlbare Wohnungen. Die bisherigen Bemühungen und Regelungen seien ein Papiertiger. Es benötige einen Fonds für bezahlbare Wohnungen, so Lustenbergs Forderung. Thöni schlägt vor, dass man die Bauvorschriften so neu formuliert, dass man besser verdichten kann in den Städten und höher hinauf bauen kann. Wichtig sei aber, dass die Mobilität Schritt halten kann mit dem Bevölkerungswachstum. Mit Hausheers Forderung geht auch Thöni einher, dass der Staat ein schlechter Baumeister ist und die Finger davon halten soll. Für günstigen Wohnraum seien Genossenschaften zuständig. Brüngger findet auch, dass Genossenschaften gefördert werden. Ein Mitglied der Feuerwehr soll beispielsweise ein Vorrecht bei den günstigen Wohnungen erhält. Damit kann man die Einheimischen an Ort behalten. Andy Villiger empfindet die verschiedenen Regeln der Zuger Gemeinden als «Wildwerk». «Wir bauchen eine Strategie!» Wenn man heute nicht plant, ist es in ein paar Jahren zu spät. In ein paar Jahren, so Villiger, wohnen im Kanton «ein Risch» mehr, also zusätzliche 11'500 Einwohnerinnen und Einwohner. Am Ende schüttelten sich die Kandidaten und die Kandidatin die Hände. So weit liegen sie trotz unterschiedlicher Parteizugehörigkeit gar nicht auseinander. Und gesittet diskutierte man, liess den anderen ausreden und nennt sich längst beim Vornamen. Wer am Ende das Rennen macht, entscheidet die Zuger Bevölkerung am 15. Juni.
Statement aus Bolivien
Zu den wichtigsten Punkten nahm die GLP-Kandidatin Tabea Estermann nachträglich Stellung.
Prävention ist grossartig. Ein Gesundheitssystem sollte Gesundheit fördern, statt Krankheit verwalten und dafür darf man auch entsprechende Anreize setzten. Das bringt höhere Lebensqualität und tiefere Kosten. Das ist gesamtheitlich zu betrachten. Zum Beispiel weiss man, dass Kinder, die zu wenig draussen spielen viel öfter kurzsichtig sind. Wer täglich zu Fuss unterwegs ist - zum Einkaufen, für den Arbeitsweg oder in der Freizeit hat viel bessere gesundheitliche Aussichten als jemand, der immer mit dem Lift in die Tiefgarage und von da in die nächste Tiefgarage fährt.
Die Übernahme der stationären Spitalkosten von 99 Prozent statt 55 Prozent ist finanzpolitisch eine extrem schlaue Methode, um der Bevölkerung zu viel eingenommene Steuern zurückzugeben, denn jeder, der Krankenkassenprämien zahlt erhält gleich viel - ca 700 Franken pro Jahr. Bei einer Steuersenkung erhält ein Normalverdiener vielleicht 50 Franken und ein Grossverdiener 2000 Franken. Wenn wir im 2028 weiterhin über Steuersenkungen sprechen weil wir Überschüsse haben bin ich dafür, dass wir dieses Zuger Modell fortführen und eventuell langsam herunterfahren.
Das Angebot hält nicht der Wohnungsnachfrage stand. Man muss mehr bauen - höher bauen. Ich bin ein grosser Fan von Hochhäusern und freue mich mega auf die Skyline, die in Zug entsteht mit dem PI und der Überbauung auf dem L&G Areal. Solange Zug so attraktiv ist von der Lage (nahe an Zürich - nahe an den Bergen) und so tiefe Steuern hat, werden die Wohnpreise immer erhöht sein. Denn es gibt etliche Leute, die gerne aus dem nahen Aargau oder Zürich nach Zug ziehen und dabei vielleicht 10‘000 Franken weniger Steuern zahlen und dafür gerne etwas mehr für die Wohnung zahlen. Für die verwurzelten Zuger, bei denen die Steuerersparnisse nicht die Mehrkosten der Miete aufwiegen, braucht es gemeinnützigen Wohnraum mit strikten Belegungsvorschriften, damit da effektiv auch die richtigen Leute wohnen.
Wohnung dank Feurwehr: Jeder nachsichtige Besitzer, der selber aus Zug kommt und sich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt am Standort einsetzt, schaut - auch bei Marktmieten - auf solche Kriterien. Das ist auch bei vielen der Fall, die zum Beispiel die Kinder von Bekannten eine WG lassen machen, statt die Wohnung einfach dem Erstbesten zu geben. Ich habe selber kürzlich eine neue Wohnung gesucht - ich wollte auf auf dem freien Markt ohne Vitamin B um ein Selbstexperiment zu machen wie lange es geht, und war erstaunt dass ich relativ schnell eine super Wohnung erhielt. Genossenschaften können mit ihren Punktesystem solche Kriterien einrechnen, doch ich würde nicht ein zu enges gesetzliches Korsett dazu machen.
Beni Frenkel
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